Gedanken und Schmerz
als Lehrmeister
Ein Gedanke tritt in seinen Geist und verschwindet wieder. Er kommt wieder, nur diesmal stärker und länger. Es ist fast so als wollte er ihn überzeugen. Doch schließlich ging auch er wieder, als er nicht die Aufmerksamkeit bekam. Wenn er es am wenigsten erwartete kamen sie über ihn. Gedanken die ständig um bestimmte Teilaspekte seines Lebens kreisten. Manche waren angenehm und andere wiederum äußerst unangenehm, er fühlte es. Schließlich konnte er nicht sagen woher sie kamen und wohin sie gingen, doch kamen sie immer und immer wieder. Durch ein Verdrängen wurden sie stärker und durch ein ignorieren lauter. Was also sollte er tun, ihnen freien Lauf gestatten? So tun als ob sie nicht da wären oder aber sie einfach beobachten? Er entschied sich dafür sie einfach einmal zu beobachten. Sie wurden laut, stürmisch und tobten in seinem Geist, doch er blieb ruhig und schaute zu. Er fühlte was sie in seinem Körper und Geist auslösten. Welche Gefühle aufwallten und wieder abflachten bis sie schließlich wieder verebbten. Dann plötzlich Stille… Sie war von kurzer Dauer und schon begannen sie von Neuem. Doch da war sie, ganz deutlich wahrnehmbar. Welche Bedeutung sie wohl hatte schien derzeit noch ungreifbar und dennoch interessant. Es kam über ihn wie ein Schauer. Erst still und leise und dann wie eine Wucht die ihn nahezu niederschmetterte.
Was wenn all diese Gedanken aus dieser Stille hervortreten und auch wieder in diese Stille zurückkehren?
Wie wäre es wenn er sie schon sein ganzes Leben lang beobachtet hat wie sie auftauchen und wieder verschwinden und sich bloß so stark in sie verfangen hatte, sodass sie ihm noch realer erschienen als sie waren? Die ganzen Sorgen die er sich bereits in seinem Leben gemacht hatte… Wenn er darüber nachdachte wurde ihm förmlich schlecht. Dennoch kamen ihm jetzt diese Gedanken in den Sinn. Dabei sind doch so wenige dieser Sorgen tatsächlich eingetreten und jene die eingetreten sind konnte er rückblickend sowieso nicht verändern.
Wenn jeder Gedanke wie ein Geräusch ist und er es einfach als dieses wahrnehmen kann. Welches aus dieser Stille hervortritt und wieder in der Stille verhallt. Einfach aus dem heraus sein wahres Naturell besteht. Sie kommen und gehen, wie auch sein Körper einst auf diese Welt gekommen ist und eines Tages wieder von dieser Erde gehen wird. Doch inwiefern er ein sorgenvolles Leben lebt oder aber seinen Fokus auf die schönen Dinge des Lebens lenkt bleibt wohl ihm überlassen.
Kann es so einfach sein?
Ist es tatsächlich der Fokus der es ihm ermöglicht einen wunderschönen Traum namens Leben zu leben oder aber aus ihm einen Albtraum zu machen? Wieder verstummte sein Geist und er blickte sich um. Er nahm seine Umgebung wahr, angefangen von dem Stuhl auf dem er saß über den Tisch auf dem sein Computer stand bis hin zu den Bäumen und Sträuchern die sich im Garten im Wind wiegten, sowie der Sanduhr die ihn begleitete in welcher unaufhörlich Sand hinabrieselte.
Wie viel Sand schon verflossen war konnte er nicht genau sagen und auch nicht das Verhältnis zwischen verflossenem Sand und dem der noch fließen wird. Doch was er genau weiß ist, dass der verflossene Sand bloß noch in seinem Geist erlebt werden kann. In Gedanken kann er sich all seine abgespeicherten Erlebnisse wieder hierherholen und sie noch einmal erleben. Dabei wird er auch fühlen und denken so wie er es dazumal getan hat und dennoch wird es nur ein Abbild der Realität sein welches er durch die Brille seines jetzigen Ichs betrachtet. Möglicherweise verändert sich auch seine Vergangenheit. Früher war für ihn die Vergangenheit wie in Stein gemeißelt, doch dass dies gar nicht so war und immer auch das Auge des Betrachters einen großen Einfluss darauf hat wie etwas wirklich ist, wurde ihm erst später so richtig bewusst. So konnte er erkennen, dass all seine Bemühungen Schmerz zu vermeiden, schließlich doch nur ein Versuch blieben. Er konnte dem Schmerz nicht entrinnen, denn er kam auf irgendeine Weise zu ihm. Auch wenn er versuchte sich wie in einen Kokon zu hüllen um allen Schmerz aus dem Weg zu gehen, so blieb es dennoch nur ein Versuch. Dieser Versuch stumpfte ihn ab für das Leben, ließ ihn durch sein Leben wandeln wie ein Schatten seiner selbst und dennoch kam der Schmerz auf die eine oder andere Art und Weise. So machte er sich daran diesen selbst erbauten Kokon aus scheinbarer Sicherheit abzustreifen, indem er wenn der Schmerz kam ihn einfach wahrnahm. Er machte nicht mehr das Drama daraus was er früher einmal machte, sondern ließ es einfach zu, dass er ihn fühlte. Denn sobald er das Drama zuließ wurde aus dem Schmerz ein Leid. In diesem Leiden kreiste alles um diesen Schmerz den er gerade fühlte und er konnte sich dann kaum noch dazu ermutigen irgendetwas anderes in seinem Leben zu tun als sich selbst zu bemitleiden. Da überrollte ihn die zweite Welle des Schauderns durch seinen Körper.
Was wäre wenn auch hier sein Fokus maßgeblich dazu beiträgt wie er das Erlebte wahrnimmt?
Worauf könnte er seinen Fokus richten, wenn ihn der Schmerz zu übermannen droht und er kurz davor steht ins Leiden zu kippen? Sollte er seinen Fokus einfach weg vom Schmerz lenken? Doch wäre es dann nicht ähnlich wie bei den Gedanken, dass er größer und lauter werden würde gemeinsam mit seinen Gedanken die um jenen Schmerz kreisten?
Das war wohl nicht die Lösung, doch was war sie dann? Kann es möglich sein, dass die Lösung wie zuvor einfach die Beobachterrolle ist, die ihm diesen Abstand zu seinen Gedanken verschaffte? So einfach und doch komplex. Einfach weil es direkt vor der Nase liegt und es schon so naheliegend ist, dass man es einfach übersehen kann. Doch auch komplex, da er sich doch schon so daran gewöhnt hatte in Gedanken und Schmerz hineinzukippen. Trotz all dem war es nichts anderes als eine Gewohnheit, an die er sich schlicht und ergreifend gewöhnt hatte. So kann er sich doch auch umgewöhnen und eine neue Gewohnheit erschaffen indem er sich entspannt zurücklehnt oder durchatmet um die Gedanken zu beobachten oder den Schmerz wahrzunehmen.
Ja es fühlt sich zum Teil unangenehm an die Gedanken zu beobachten, doch er nimmt es wahr wie es sich unangenehm anfühlt. Ja der Schmerz brennt, wie ein glühender Dorn welcher sich in sein Fleisch bohrt und dabei keine sichtbare Verletzung hinterlässt. Dabei bleibt er bestehen und geht dann schließlich wieder. Wie könnte er sich in diesen Schmerz hinein entspannen? Ihn beobachten, wie er sich verändert und schließlich wieder geht. So wie dieser glühende Dorn der eindringt und sich dann förmlich auflöst und keinerlei Verletzung hinterlässt. Was schon fast an Magie grenzen mag ist Realität, doch ist diese denn nicht auch Realität.
Worauf sich sein Fokus verschieben könnte, damit er seine gesamte Lebenslage anders sehen könnte? Da war es wieder dieses Gefühl und es trat in ihm hervor wie ein Aufflackern im Geist. Ein Wort welches seinen ganzen Gedanken zu verschlingen bereit war. Ein Wort welches wie ein heilendes Serum auf seinen Schmerz wirkte. Ein Wort welches so viel mehr war als ein Wort.
Danke
Danke, dass ich am Leben bin. Danke, dass ich dieses Leben lebe. Danke für meine Mitmenschen. Danke für meinen Wohlstand. Danke für meine gesunden Körper. Danke, dass ich sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen kann. Danke, dass ich diese Zeilen hier deuten kann. Danke, dass ich die Temperatur wahrnehme. Danke, dass mich diese Vielfalt umgibt. Danke für meinen Geist. Danke auch dafür, dass ich diesen Schmerz wahrnehme. Danke, dass ich diesen Moment hier erleben kann. Danke, dass der Sand meiner Lebensuhr noch läuft.